Wissenschaftsjournalismus

Schlafende Zwillinge: Was uns einzigartig macht

Von Andjela Markovic

Schlaf ist ein “Offline-Modus” unseres Gehirns, in welchem wir ungefähr einen Drittel unseres Lebens verbringen. Dieser besondere Zustand beinhaltet jedoch nicht nur passive Ruhe sondern kann die Entwicklung unseres Gehirns aktiv beeinflussen 1. Ob unser Schlaf genetisch bedingt oder von unserer Umgebung geprägt ist, bleibt bis heute noch ein Rätsel. Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, hat die Forschungsgruppe um Dr. Leila Tarokh an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Bern eine Studie mit jugendlichen Zwillingen durchgeführt. Diese Studie hat Einblicke zum Einfluss der Genetik auf den Schlaf ermöglicht.

In dieser Studie haben wir während vier Nächten den Schlaf von eineiigen und zweieiigen Zwillingen aufgenommen. Der Schlaf wurde mittels Hirnwellen – Elektroenzephalographie (EEG) – bei den Familien zu Hause gemessen, um die natürliche Schlafumgebung beizubehalten. EEG-Aufnahmen offenbaren was in unserem Gehirn geschieht, während wir schlafen. Z.B. verrät uns das EEG wie tief wir schlafen oder welche Muster der Hirnaktivität dabei auftauchen. Ein Beispiel hierfür ist die erhöhte Aktivität im vorderen Teil des Gehirns im Tiefschlaf von Jugendlichen und Erwachsenen.

Unsere Studie hat gezeigt, dass die Intensität der Hirnaktivität im Schlaf (gemessen durch die EEG-Power) bei eineiigen ähnlicher als bei zweieiigen Zwillingen war 2. Eineiige Zwillinge sind genetisch identisch, während zweieiige Zwillinge ungefähr die Hälfte ihrer Gene gemeinsam haben. Dieses Resultat einer größeren Ähnlichkeit zwischen eineiigen Zwillingen bedeutet, dass die Hirnaktivität während des Schlafs genetisch beeinflusst wird. Dieser genetische Einfluss zeigte jedoch in unserer Studie Unterschiede zwischen den verschiedenen Hirnregionen. So ist z.B. die Tiefschlaf-Aktivität in den vorderen Gehirnteilen genetisch bedingt, während sie in den hinteren Teilen einen starken Einfluss der Umgebung zeigt.  

Diese Ergebnisse zeigen, dass einige Aspekte der Aktivität im schlafenden Gehirn durch die Umgebung verändert werden können 3. Es bleibt noch unbekannt, welche konkreten Faktoren aus der Umgebung dabei massgebend sind. Frühere Studien haben jedoch gezeigt, dass z.B. die Eltern-Kind-Interaktion für die Hirnentwicklung des Kindes relevant sein kann.

Andererseits, haben wir in derselben Studie eine geringe Ähnlichkeit zwischen zweieiigen aber auch eineiigen Zwillingen bezüglich der Synchronisierung im schlafenden Gehirn (gemessen durch die EEG-Kohärenz) gefunden 4. Dieses Mass spiegelt die Kommunikation zwischen verschiedenen Hirnregionen wider. Unser Befund deutet auf einen Einfluss der Umgebungsfaktoren hin, welche die individuellen Erfahrungen der einzelnen Zwillinge umfassen und nicht innerhalb eines Zwillingspaars geteilt werden. Es ist bekannt, dass trotz der gemeinsamen Gene, sich auch eineiige Zwillinge zu Individuen mit unterschiedlichen Charakteren entwickeln. Diese neuen Ergebnisse zeigen, dass insbesondere das Ausmass der Interaktion zwischen verschiedenen Hirnteilen eines der Charakteristiken ist, welche jedes Individuum einzigartig macht.

Während der erste “Bauplan” des Gehirns weitgehend von unseren Genen bestimmt wird, ist die Art und Weise, wie unser Gehirn Informationen verknüpft und verarbeitet, empfindlich gegenüber Umgebungseinflüssen, was uns die lebensnotwendige Anpassung an die Umwelt ermöglicht. Unsere Befunde heben konkrete informative Messgrössen im Schlaf hervor, um die Hirnentwicklung während der turbulenten Zeit der Adoleszenz zu verfolgen.  

Referenzen:

1 Peirano PD, Algarín CR (2007). Sleep in Brain Development. Biological Research, 40:471–478.

2 Rusterholz T, Hamann C, Markovic A, Schmidt SJ, Achermann P, Tarokh L (2018). Nature and Nurture: Brain Region-Specific Inheritance of Sleep Neurophysiology in Adolescence. Journal of Neuroscience, 38(43):9275-9285.

3 Markovic A, Achermann P, Rusterholz T, Tarokh L (2018). Heritability of Sleep EEG Topography in Adolescence: Results from a Longitudinal Twin Study. Scientific Reports, 8(1):7334.

4 Markovic A, Kaess M, Tarokh L (2020). Environmental Factors Shape Sleep EEG Connectivity During Early Adolescence. Cerebral Cortex, 30(11):5780-5791.

Illustration:

Photo von billow926 auf Unsplash

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