Wer einmal gelernt hat, wie eine Nacht strukturiert ist, versteht schnell, dass es das Wort „Durchschlafen“ eigentlich nicht geben sollte.
Obwohl wir den Eindruck haben, die Nacht durchzuschlafen, zeigen uns genaue Messungen, dass wir selbst in einer vermeintlich „durchgeschlafenen“ Nacht immer wieder für Sekunden oder sogar Minuten wach sind. Entscheidend ist, wie intensiv wir diese Wachphasen wahrnehmen und interpretieren. Es gibt einen grossen Spielraum: Manchmal fühlt sich eine gemessene Minute wach an wie eine ganze Stunde – besonders bei Schlafstörungen wie Insomnie. Doch meist merken wir kurze Wachphasen gar nicht, besonders im ersten Teil der Nacht, wenn der Schlafdruck noch hoch ist und wir viel Tiefschlaf erleben.
Die „Wolfsstunde“
Kennen Sie das Phänomen, gegen 2-3 Uhr morgens regelmässig wach zu werden? Diese Phase wird oft als „Wolfsstunde“ bezeichnet – obwohl natürlich nicht nur Wölfe um diese Zeit wach sind (so auch Fledermäuse, Igel, Eulen und ein grosser Teil der Bevölkerung). Der Name soll verdeutlichen, wie einsam und wachsam sich diese Zeit anfühlt.
Der Zeitpunkt hängt jedoch weniger mit der Uhrzeit zusammen, sondern mit unseren Schlafzyklen: Wenn wir um 23 Uhr schlafen gehen, haben wir gegen 2 Uhr bereits zwei Zyklen und den allergrssten Teil des Tiefschlafs hinter uns. Ab jetzt schlafen wir leichter, wachen schneller auf und könnten ins Grübeln kommen. In solchen Momenten erscheinen Probleme grösser, die Sorge um ausreichend Schlaf und die Leistungsfähigkeit am nächsten Tag wächst – all das erschwert das erneute Einschlafen.
Zusätzlich zu diesen Gedanken kommt unsere „innere Uhr“ ins Spiel – ein komplexes System von Hormonen, die im 24-Stunden-Rhythmus arbeiten. Diese Hormone, insbesondere Melatonin, Cortisol und Serotonin, beeinflussen uns in der Nacht. In der Wolfsstunde sinkt das Melatonin noch, Cortisol und Serotonin sind auf einem Tiefpunkt und steigen erst allmählich wieder an, was unsere Stimmung in dieser nächtlichen Stunde beeinflussen kann.
Ein Blick über den Tellerrand
Am Polarkreis, etwa bei 66 Grad nördlicher Breite, gehen die Bedingungen weit über eine normale Nacht hinaus: Hier gibt es Zeiträume, in denen die Sonne tagelang nicht untergeht (Mitternachtssonne) oder nicht aufgeht (Polarnacht). Doch wie beeinflusst dies unsere innere Uhr?
Bei Tieren wie Rentieren wurde das Fehlen eines Tagesrhythmus bei konstantem Tageslicht nachgewiesen. Auch bei anderen arktischen Tieren wie Schneehühnern ist dieser Rhythmus abgeschwächt, was durch die Messung von Melatonin gezeigt wurde. Interessanterweise behält das arktische Erdhörnchen seinen Tagesrhythmus trotz der extremen Bedingungen bei. Menschen in subarktischen Regionen erleben während der dunklen Jahreszeit häufig späteres Zubettgehen und eine stärkere Müdigkeit, was ihre Stimmung, Gesundheit und das Stresslevel beeinflussen kann. Diese saisonalen Veränderungen können somit auch unsere gefühlte Schlafqualität beeinflussen.
Zurück zum „Durchschlafen“
Das Konzept „Durchschlafen“ sollte unbedingt neu überdacht werden. Es kann eine unrealistische Erwartung erzeugen, die uns unter Druck setzt. Zudem ist die Schlafbiologie spannender und vielseitiger, als nur „wach“ oder „schlafend“ zu sein. Es gibt spanneden Zwischenzustände, in denen wir zwischen Schlaf und Wachsein schwanken, sowie Phasen des „lokalen Schlafs“, in denen Teile des Gehirns schlafen, während andere wacher sind.
Viele weitere Geheimnisse des Schlafs haben Caroline Lustenberger und ich in unserem Buch für euch zusammengetragen.
Quellen
Van Oort, B. E. H. et al. Circadian organization in reindeer. Nature, 2005
Reierth, E., Van’t Hof, T. J. & Stokkan, K.-A. Seasonal and Daily Variations in Plasma Melatonin in the High-Arctic Svalbard Ptarmigan (Lagopus mutus hyperboreus ). J Biol Rhythms, 1999
Stokkan, K. ‐A. & Reiter, R. J. Melatonin rhythms in Arctic urban residents. Journal of Pineal Research, 1994
Williams, C. T., Barnes, B. M., Yan, L. & Buck, C. L. Entraining to the polar day: circadian rhythms in arctic ground squirrels. J Exp Biol, 2017
Friborg, O., Rosenvinge, J. H., Wynn, R. & Gradisar, M. Sleep timing, chronotype, mood, and behavior at an Arctic latitude (69°N). Sleep Medicine, 2014