Medienmitteilung Methoden Wissenschaftsjournalismus

Wenn der Darm tickt: Melatonin und Mikrobiom als Taktgeber im ersten Lebensjahr

Die ersten Lebensmonate sind geprägt von rasanten Veränderungen – nicht nur im Verhalten von Babys, sondern auch in kaum sichtbaren biologischen Systemen. Vier aktuelle, noch nicht peer-reviewte Preprints aus unserer Forschung geben Einblicke, wie Schlaf, Darmmikrobiom und circadiane Rhythmen miteinander verwoben sind.

#1 Rhythmen im Darm – Rhythmen im Schlaf

Mühlematter et al. analysierten Stuhlproben von 162 Babys im ersten Lebensjahr und verglichen sie mit objektiven Schlafdaten. Unsere Resultate zeigen, dass bestimmte Bakterienarten tagesrhythmisch schwanken – ähnlich wie die Schlaf-Wach-Zyklen der Kinder. Mit zunehmendem Alter wurde diese Synchronisation deutlicher: Mehr Bakterien zeigten rhythmische Muster, die eng mit der Reifung der circadianen Organisation (Circadian Function Index) verbunden waren. Das spricht für eine echte „Taktkopplung“ zwischen Darm und Schlaf im ersten Lebensjahr.

#2 Mikrobiota-Rhythmen und Schlaf: Erste longitudinale Befunde

Die Studie von Kerff et al. ging einen Schritt weiter: Über 48 Stunden wurden Babys im Alter von 2, 4 und 6 Monaten intensiv beobachtet – mit Aktigrafie, Eltern-Tagebüchern und Stuhlproben. Dabei zeigte sich, dass manche Kinder ein tageszeitliches Muster in der Bakterienvielfalt aufwiesen. Besonders spannend: Babys mit einer insgesamt höheren Vielfalt der Darmbakterien hatten robustere Schlafrhythmen. Auch wenn noch keine klare Kausalität nachweisbar ist, deutet dies auf eine Verbindung von Mikrobiom und Schlafreifung sogar auf einer 24-Stunden-Dimension hin.

NotebookLM beschreibt die Studie als KI-Podcast (Kerff et al.).

#3 Stuhldynamik und Mikrobiom

Eine Arbeit von Al-Andoli et al. untersuchte, wie Stuhlfrequenz, Uhrzeit der Darmentleerung, Essens- und Schlafrhythmen das Mikrobiom beeinflussen. Das Ergebnis: Je länger der Abstand zur letzten Darmentleerung, desto vielfältiger die Darmgemeinschaft. Auch die Uhrzeit spielt eine Rolle – besonders bei jüngeren Säuglingen. Später am Tag veränderte sich die Zusammensetzung messbar. Damit wird deutlich: Nicht nur was Babys essen, sondern auch wann sie schlafen, essen und ausscheiden, prägt das Mikrobiom.

#4 Melatonin im Stuhl: Ein neuer Biomarker?

Eine weitere Studie von Al-Andoli et al. zeigt erstmals, dass Melatonin nicht nur im Blut oder Speichel, sondern auch im Stuhl von Säuglingen messbar ist. Dieser Befund ist mehr als eine technische Neuigkeit: Stuhl-Melatonin steigt mit dem Alter an, ist aber stark individuell geprägt. Bemerkenswert ist, dass höhere Werte mit einer geringeren Vielfalt der Darmbakterien zusammenhängen. Zudem lassen sich Zusammenhänge mit der Tageszeit und der Stabilität des Schlaf-Wach-Rhythmus beobachten. Damit könnte Stuhl-Melatonin ein neuer Marker für die Reifung des circadianen Systems und das Zusammenspiel von Schlaf und Darm werden.

NotebookLM würde die Studie als KI POdcast so beschreiben (Melatonin im Darm, Al-Andoli et al.)

Eine Übersichtsarbeit von Zimmermann et al. fasst zusammen, wie Bakterien selbst Melatonin produzieren oder dessen Spiegel beeinflussen können. Dieser Prozess könnte nicht nur für den Darm, sondern auch für den circadianen Rhythmus des ganzen Körpers relevant sein – mit möglichen therapeutischen Perspektiven bei Schlaf- und Stoffwechselstörungen.

#5 Vom Mutterleib ins Kinderbett – und die Rolle der Muttermilch

Eine besondere Perspektive liefert die Studie von Markovic et al.: Über 20.000 Stunden Bewegungsdaten von Föten im dritten Trimester zeigen, dass schon ungeborene Kinder Tag-Nacht-Muster entwickeln – eng gekoppelt an die Rhythmen ihrer Mütter. Diese pränatalen Muster setzen sich nach der Geburt fort: Föten, die bereits im Bauch eher nachts schliefen, taten dies auch als Säuglinge.

Ein weiteres Highlight der Studie: Direkt nach der Geburt wurden Muttermilch- und Stuhlproben gesammelt, um die Rolle von Melatonin zu untersuchen. Muttermilch folgt einem circadianen Rhythmus – tagsüber enthält sie kaum Melatonin, nachts deutlich mehr. Dadurch bekommt das Neugeborene einen „Zeitgeber“ mit jeder Mahlzeit. Zusammen mit dem Melatonin im Stuhl der Babys (als Spiegel der aufgenommenen und eigenen Produktion) ergibt sich das Bild: Der Übergang von mütterlichen zu kindlichen Rhythmen wird hormonell unterstützt.

Damit rundet die Arbeit das Konzept ab: Schon während der Schwangerschaft wirken mütterliche Rhythmen auf das Kind, und nach der Geburt trägt Muttermilch-Melatonin dazu bei, die Schlaf-Wach-Organisation des Babys zu stabilisieren.

Referenzen

Rhythms of early life: Gut microbiota rhythmicity and circadian maturation in infants
Mühlematter C, Nielsen DS, Castro-Mejía JL, Walser JC, Schoch SF, Kurth S, in revision, preprint at bioRxiv

The gut microbiota and sleep in infants: a focus on diurnal rhythmicity patterns
Kerff F, Mühlematter C, Adamov A, Fast D, Plüss S, Zimmermann P, Kurth S*, Bokulich NA*, *Shared last authorship, preprint at bioRxiv

Fecal melatonin as a biomarker of emerging circadian maturity and gut microbiota in infancy
Al-Andoli M, Zimmermann P, Schoch S, Markovic A, Mühlematter C, Beaugrand M, Jenni O, Liamlahi R, Walser JC, Nielsen D, Kurth S, preprint at Research Square

Stool Dynamics and the Developing Gut Microbiome During Infancy
Al-Andoli M, Schoch S, Markovic A, Mühlematter C, Beaugrand M, Jenni OG, Liamlahi R, Walser JC, Nielsen D, Kurth S, preprint at bioRxiv

Microbial melatonin metabolism in the human intestine as a therapeutic target for dysbiosis and rhythm disorders Zimmermann P, Kurth S, Pugin B, Bokulich N, 2024, npj Biofilms and Microbiomes

From womb to crib: How fetal activity patterns in utero reveal postnatal sleep behavior
Markovic A, Mühlematter C, Blume C, Zimmermann P, Kurth S, in revision (at Nature Communications), preprint at bioRxiv

Image: DALLE

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